Freiheit und Verantwortung

Knapp 3 Stunden Diskussion mit Pia Beckmann

Freiheit und Verantwortung

Freiheit und Verantwortung - Fast 3 Stunden Diskussion non stop.

Machen wir uns Gedanken über das, was aktuell vor sich geht? Über Freiheit und Unfreiheiten, über Rechte, Pflichten und Verantwortung? In der Akademischen Buchhandlung Knodt hat man dies im Gespräch mit Pia Beckmann sehr eindringlich getan.

Ein Senior erzählte, wie er zum leidenschaftlichen Nazi erzogen wurde. Als er 10 Jahre alt war und die Amerikaner einmarschierten, hätte er sie am liebsten mit einem Maschinengewehr umgemäht. Bis ein einzelner Satz seiner Tante, die neben ihm stand, alles für ihn änderte. Sie fragte voller Sehnsucht: „Ob da mei Josef dabei ist?“ Diese Frage schlug bei ihm ein, wie ein Hammer, bekannte er. In diesem Moment der Erkenntnis, für den er bis heute dankbar ist, ist sein politisches Interesse erwacht. Er informierte sich, trat später in eine große Volkspartei ein und engagierte sich bis ins hohe Alter politisch. Wie leicht man Kinder fanatisieren könne, habe er am eigenen Leib zu spüren bekommen. Auch viele Erwachsene hätten diesbezüglich ein kindliches Gemüt, fügte er mit Blick auf die Verschwörungsanhänger hinzu.

Die Woche unabhängiger Buchhandlungen wurde in Würzburg bei Knodt mit einem so beginnenden intensiven, fast drei Stunden dauernden Dialog eröffnet. Elisabeth Stein-Salomon hatte die ehemalige Oberbürgermeisterin, Dr. Pia Beckmann, zu einer Gesprächs- und Signierstunde eingeladen. Es ging um free - Perspektiven auf die Freiheit, so auch der Titel des von Beckmann herausgegebenen Buchs, das im Herbst 2020 im Verlag für moderne Kunst erschienen ist.

Mit allen gebotenen Vorsichtsmaßnahmen fand das gut nachgefragte Treffen mit viertel- bis halbstündig wechselnden Teilnehmer_innen statt. Gleichwohl gab es für alle, die sich den Weg nicht zumuten wollten, ein Angebot, sich auch später noch digital am Dialog zu beteiligen und ein signiertes Buchexemplar zu erhalten. Stein-Salomon, Inhaberin der fast 90 Jahre alten, familiengeführten Buchhandlung, hatte ein gemütliches, einladendes Ambiente mit Abstand zum Nächsten geschaffen. Beckmann stand für Fragen zur Verfügung, hatte aber auch selbst einige an die Besucher_innen: Was macht Ihnen gerade am meisten Sorgen? Was bewirken Kunst und Literatur bei Ihnen? Welche Rolle spielen Justiz und Polizei für Sie, wenn es um Freiheit geht? Können Sie jedem Menschen vorurteilsfrei begegnen? Wie möchten Sie die Welt hinterlassen? Diese Fragen hatten alle einen Bezug zu ihrem Buch, für das die Kunstinstallation „free“ von Winfried Muthesius Gedankenöffner war. Die Installation war nicht irgendwo zu sehen, sondern im größten Strafgericht Europas. An einem Ort, wo Freiheit gegeben und genommen wird, wo ein Spiegelbild der Gesellschaft zusammenkommt und unsere Grundrechte jeden Tag aufs Neue verteidigt werden wollen.

Was den Besucher_innen Sorgen bereitete, war natürlich auch Corona, die damit zusammenhängenden Einschränkungen, die Ängste und wie Menschen damit umgehen. Es ging um Richtig und Falsch, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, Proteste, aber auch um Corona-Leugner und Verschwörungstheoriker. Hitzig und kontrovers wurde manches diskutiert: Jemand stellte die Wirksamkeit aktueller Einschränkungen infrage; ein Gast betonte daraufhin, dass wir in Deutschland doch größtmögliche Freiheit genössen, trotz Corona. Er schaue deshalb nur auf sich selbst, verhalte sich so, dass er andere und damit sich selbst schütze, indem er Abstand halte, Kontakte vermeide. Das sei letztlich das einzige, was man wirklich beeinflussen könne: sein eigenes Verhalten.

Schließlich wurde der Umgang der Menschen miteinander zum Thema. Die Grobheit der Sprache, die Diffamierung von Menschen, die nicht ins Konzept passen und wie undeutlich zum Teil die Gerichte damit umgegangen sind. Radikalisierte Interessenswahrnehmungen führten dazu, dass Menschen das, was sie hören und von sich geben per se für wahr halten. Die Akzeptanz von Fakten sei verloren gegangen. Verlässliche wissenschaftliche Erkentnisse würden nicht mehr anerkannt. Unsicherheiten griffen um sich. Soziale Medien verstärkten dies durch ihre Algorithmen. Eine Umsteuerung wurde dringen angemahnt, z.B. durch adäquate Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen. Eine Teilnehmerin betonte die Bedeutung von innerer und äußerer Freiheit für den Einzelnen und die Gesellschaft; oft werde nicht erkannt, welche Auswirkungen beides auf das seelische Wohl des Menschen, den inneren und äußeren Frieden habe. Auch deshalb müsse der Dialog fortgesetzt werden.

Dies und mehr wurde anhand der Fragen, die sich aus dem Buch- und Dialogprojekt „free - Perspektiven auf die Freiheit“ ergeben, lebhaft diskutiert. Sowohl die Herausgeberin Pia Beckmann, als auch die Gastgeberin Elisabeth Stein-Salomon waren nach dem Gesprächsmarathon zwar erschöpft, aber sehr zufrieden.

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